Aktivierende Bibliothekseinführungen - Ein Erfahrungsbericht

25.08.2012 | Von Cynthia Lengler | Benutzung | Bibliothekseinführungen| Informationskompetenz

Die meisten Bibliotheken bieten Zugang zu einer Fülle von Informationen. Eine Grundvoraussetzung für dessen Nutzung ist allerdings eine gewisse Kenntnis des Bibliotheksangebots. Da traditionelle Bibliothekseinführungen personalintensiv und die Fähigkeiten, die dabei erworben werden, selten nachhaltig sind, wurden in der Bibliothek der Pädagogischen Hochschule Thurgau Alternativen dazu ausgearbeitet.

Von Cynthia Lengler
Cynthia Lengler: 2003 Abschluss Diplomstudium Informations-wissenschaft an der Fachhochschule Chur; 2003-2008 Mitarbeiterin Didaktisches Zentrum Kreuzlingen, Non-Book-Verantwortliche; seit 2008 Mitarbeiterin der MDZ Bibliothek der Pädagogischen Hochschule Thurgau, Non-Book- und Homepage-Verantwortliche, Mitverantwortliche für Schulungen und Führungen.
Ende 2008 waren die Neubauten der Pädagogischen Hochschule Thurgau auf dem neu gebildeten „Campus Bildung Kreuzlingen“ bezugsbereit. Unter diesem Dach wurden vier bisher räumlich getrennte aber in der Praxis eng zusammenarbeitende Bibliotheken zusammen geführt: das Didaktische Zentrum Kreuzlingen, die Bibliothek der Pädagogischen Maturitätsschule Kreuzlingen, die ehemalige Studienbibliothek und die Werkbibliothek der PHTG. Es entstand eine neue, schöne und moderne Bibliothek, die MDZ (Medien- und Didaktik-Zentrum) Bibliothek.
 
Die Zusammenlegung dieser Bibliotheken und die räumliche Veränderung einerseits, aber auch das dadurch erweiterte und verbesserte Angebot stiessen bei allen BenutzerInnenkreisen auf grosses Interesse. Nach der anfänglichen gelegentlichen Scheu vor dem Neubau und den zum Teil bis dahin unbekannten BibliotheksmitarbeiterInnen überwog schnell die Neugierde. Nach den Sommerferien wurden wir buchstäblich mit Wünschen nach Führungen überrannt. Die Anfragen kamen aus allen BenutzerInnenkreisen: den Lehrerinnen und Lehrern der Volksschule, der Lehrer- und Schülerschaft der Pädagogischen Maturitätsschule, sowie der Dozierenden, Studierenden und Mitarbeitenden der PHTG. Sie alle wollten die neue Bibliothek besichtigen und kennen lernen.
 
Unsere traditionelle Führung durch die Bibliothek begann uns schon nach kürzester Zeit zu langweilen. Wir waren regelmässig erschöpft vom vielen Reden und es fand zu unserem Bedauern viel zu wenig Austausch mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt. Ausserdem begannen wir uns Gedanken zu machen, wie wir die vielen neuen PH Studierenden bei Semesterbeginn im September 2009 einführen sollten. Kurz: Wir stiessen an unsere Kapazitätsgrenze und es war klar, wir benötigten ein neues Konzept.
 
Die Rockenbach Methode
Ein Jahr vor dem Umzug hatten wir einen Vortrag von Susanne Rockenbach an der Fachtagung „Die Lernende Bibliothek“ 2007 in Innsbruck gehört, in dem sie ihre aussergewöhnliche Methode, Gruppen zu schulen, vorstellte. Wie gerufen kam uns dann eine Weiterbildung im Jahr 2009, „Learning Library! Informationskompetenz anders!“, die die Interessengruppe der Deutschschweizer PH-Bibliotheken für seine Mitglieder organisiert hatte und zu der Susanne Rockenbach eingeladen war.
 
Die Kernidee der Rockenbach Methode:
Statt Aufstellungssystematik und Fernleihe heissen die Lernziele bei der Nutzerschulung Neugier und Zweifel. Neugier als Lernerhaltung, die mit dem Kurs beginnt, aber nicht mit dem Kurs endet, sondern Langzeitwirkung besitzt. Damit ist Raum entstanden für Zweifel als Voraussetzung für alles Denken und nachhaltiges, anwendungsbezogenes Lernen. (1) 

Die Ziele, die wir mit der Methode verfolgen:
  • Jeder soll Verantwortung für sein eigenes Lernen übernehmen, wir möchten entlastet werden.
  • Grosse Eigenaktivität der Teilnehmer ist gefordert, wir wollen die Selbständigkeit fördern.
  • Anwendungsbezogenes Lernen muss im Vordergrund stehen.
  • Das Wissen soll nachhaltig sein.
 Ausserdem fanden wir folgende Punkte wichtig:
  • Die Vorbereitungszeit soll gering gehalten werden, Änderungen aller Art erfordern keine Anpassung der Unterlagen.
  • Die Gruppengrösse soll keine Rolle spielen.
  • Das individuelle Lösen der Aufgaben spricht verschiedene Lerntypen an.
  • Die Vorkenntnisse der Teilnehmer sind nicht relevant.
Die Methode unserem Konzept anpassen
Hoch motiviert und von der Wirksamkeit der neuen Methode überzeugt, machten wir uns unmittelbar nach dem Weiterbildungskurs daran, die Rockenbach Methode umzusetzen.
 
Zunächst galt es sich Gedanken zu machen zu Fragen wie:
  • Bei welchen Themen wollen wir, dass die Teilnehmenden nachdenken?
  • Was muss unbedingt vermittelt werden?
  • Was soll geübt und vertieft werden?
Nachdem wir unsere Schulungsinhalte in Themenblöcke aufgeteilt hatten, machten wir uns an das Formulieren von Fragen und an das Gestalten der Aufgabenblätter zu folgenden Themen:
  • Dienstleistungen (Ausleihbedingungen, Öffnungszeiten ...)
  • Medienbestand (Aufstellung, Lokalkennzeichen, Zeitschriften ...)
  • Bibliothek als Arbeitsort (Arbeitsplätze, Kopierstation ...)
  • WebOpac (Katalogrecherche, Benutzerkonto, Neuanschaffungen ...)
  • Aussenstandorte
Schnell stellten wir fest, dass das Verfassen von offenen, kurzen und prägnanten Fragestellungen, wie es die Rockenbach Methode verlangt, gar nicht so einfach war. Nach einem ersten Testlauf mit unseren Familienangehörigen waren wir dann aber angenehm überrascht, wie schnell die Aufgaben verstanden und gelöst wurden, obwohl die Testpersonen von uns vorher keine Einführung und auch keine langen Erklärungen bekommen hatten. Wenn also unsere Familien so schnell fit in Sachen Bibliothek wurden, würde das auch bei unseren neuen Benutzerinnen und Benutzern klappen?
 
Der Sprung ins kalte Wasser
Es braucht Mut, den Umstieg zu wagen. Bis der grosse Ansturm an 150 neuen Studierenden auf uns zukam, hatten wir genügend Gelegenheit unser neues Konzept an den unterschiedlichsten BenutzerInnenkreisen auszuprobieren. Wir stellten fest: Es funktionierte. Und selbstverständlich funktionierte es dann auch bei unseren neuen Studierenden.
 
Erfahrung aus der Praxis:
Ablauf der Methode am Beispiel einer Bibliothekseinführung (Gesamtdauer: 45 Min.): 
  • Die Erfahrung hat gezeigt, dass ein kurzer Rundgang von 5 Min. durch die Bibliothek für die Teilnehmenden zwecks Orientierung hilfreich ist.
  • Aufteilung einer grossen Gruppe (z.B. 30 TeilnehmerInnen) in Kleingruppen von 2-3 TeilnehmerInnen. (Dauer: 5 Min.)
  • Die TeilnehmerInnen beantworten möglichst selbständig die Fragen auf den Arbeitsblättern. Neben den Aufgabenblättern erhalten sie ausserdem die Benutzungsordnung und den Übersichtsplan. Dabei entdecken sie die Bibliothek auf eigene Faust (Dauer: 15 Min.)
  • Hilfe zur Selbsthilfe geben. Kommt eine Gruppe einmal nicht weiter, darf sie selbstverständlich um Hilfe bitten. Für die Bibliothekarin /den Bibliothekar bedeutet das aber trotzdem, sich zurückzunehmen und die Lösung nicht gleich vorzusagen, sondern die TeilnehmerInnen selbst auf die Lösung kommen zu lassen.
  • Nachdem die Aufgaben gelöst sind, trifft sich die ganze Gruppe und bespricht mit der Bibliothekarin/dem Bibliothekar die verschiedenen Lösungen. Da nicht jede Kleingruppe die gleichen Aufgaben bekommen hat, ist es für die anderen spannend, zuzuhören und voneinander zu lernen. (Dauer: 15 Min.)
Auch nach drei Jahren wenden wir die Rockenbach Methode immer noch mit grosser Überzeugung an. Mit dem neuen Konzept schaffen wir den Spagat zwischen MittelschülerInnen, SchulleiterInnen, VolksschullehrerInnen und Studierenden, denn es erlaubt uns, alle mit derselben Methode effizient zu schulen. Unsere Benutzerinnen und Benutzer bewegen sich selbständig in der Bibliothek, nutzen die technischen Neuerungen wie z.B. die Selbstverbuchungsstation ganz selbstverständlich und kommen gerne in die Bibliothek. Wir beobachten oft, dass die Schülerinnen und Schüler bereits kurze Zeit nach einer Bibliothekseinführung wieder in die Bibliothek kommen, um etwas auszuleihen. Das freut uns sehr und motiviert uns, mit dieser Methode weiter zu machen.
 
Die Voraussetzungen für das Umsetzen:
  • Genügend PC Arbeitsplätze sollten vorhanden sein und müssen dementsprechend reserviert werden.
  • Mit dieser Arbeitsmethode entsteht Unruhe in der Bibliothek. Es ist deshalb sehr wichtig das Bibliotheksteam sowie in der Bibliothek Anwesende rechtzeitig darüber zu informieren.
  • Von der alten zur neuen Methode umzusteigen ist in der Vorbereitung zeitaufwändig.
 Die Aufgabe der Bibliothekarin/des Bibliothekars:
  • Wenig Anleitung geben, Selbständigkeit unterstützen
  • Grosse Zurückhaltung üben, wenig bibliothekarisches Fachwissen anwenden.
  • Nur nach Bedarf schriftliche Informationen zur Bibliothek abgeben.
Zusammenarbeit Studienbetrieb und Bibliothek
Der Erfolg unserer Schulungsangebote mit der Rockenbach Methode hat uns ermutigt, weitere didaktische Konzepte wie z.B. „blended learning“ auszuprobieren. Die Gelegenheit dazu bekamen wir im Rahmen der Neuausrichtung des Unterrichts-Moduls „Wissenschaft und Forschung“, wo der systematische Erwerb von Informationskompetenz als blended learning-Angebot besser eingebunden werden sollte. Einerseits haben wir im Folgenden zusammen mit dem e-Learning Team und der Forschungsabteilung Selbstlernmodule zur Entwicklung von Informationskompetenz erarbeitet. Auf der e-Learning Plattform ILIAS werden Module zu Themen wie z.B. Recherche in Bibliotheken, Datenbanken und Internet, Bewertung von Quellen, Urheberrecht im Bildungsbereich usw. angeboten. Andererseits vertiefen wir das Thema „Effizient Recherchieren in Datenbanken“ in einer 90-minütigen Präsenzschulung im Rahmen des Moduls. Damit ist die Zusammenarbeit zwischen Studienbetrieb und Bibliothek sehr intensiv geworden. Die PHTG anerkennt die Wichtigkeit von Informationskompetenz und unterstützt das ganze Bibliotheksteam bei der Mitwirkung ihrer Schulungen.
 
Ein Beispiel für ein Arbeitsblatt finden Sie unter folgendem Link. Weitere Beispiele und sowie der Gastzugang für unser e-Learning Modul dürfen gerne bei mir per Mail angefordert werden.
 

Unten stehende Fotos wurden bei der Produktion der Filmclips aufgenommen:

Zusammen mit Eva Stucki Dozentin für Theaterpädagogik an der PHTG, 4 Studierenden und Markus Oertly aus der MDZ Medienwerkstatt hat das Bibliotheksteam Verhaltensregeln und Services der MDZ Bibliothek szenisch umgesetzt und gefilmt. Entstanden sind Filmclips und Fotostrecken,  die ohne „erhobenen Zeigefinger“ sondern auf unterhaltsame Weise zeigen, worauf in einem Lernort mit so vielen unterschiedlichen Funktionen und Nutzergruppen geachtet werden muss.

Die Filmclips können auf der Homepage http://mdz.phtg.ch/medienzentrum/bibliothek/  angesehen werden.


Cynthia Lengler
Pädagogische Hochschule Thurgau
MDZ Bibliothek
Unterer Schulweg 1
8280 Kreuzlingen
cynthia.lengler@phtg.ch
http://mdz.phtg.ch/medienzentrum/bibliothek/

 (1) Quelle: Notizen aus dem Workshop «Learning Library! Informationskompetenz anders!» vom 29.6.2009 bei Susanne Rockenbach, Kassel

 


Kerndaten der MDZ Bibliothek:
 

Oktober 2008 Eröffnung
950 m² Betriebsfläche Bibliothek
105’406 Medien Gesamtbestand
13 MitarbeiterInnen, 1 Lernende, div. Schülerhilfen
910 % Stellenprozent Bibliothek
4808 aktive Benutzerinnen und Benutzer 55 Schulungs- und Führungsveranstaltungen im Schuljahr 2010/11
 

 


 


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