Vernetzung, ein zentraler Ansatz für die Zukunft der Bibliotheken

02.12.2015 | Organisation | Vernetzung

Am 17. November 2015 fand in Tramelan der 5. Bibliothekstag für den französischsprachigen Teil des Kantons Bern statt. Gewidmet war er dem Thema „Vernetzung“. In seiner Eröffnungsansprache unterstrich der Vorsteher des Amts für Kultur, Hans Ulrich Glarner, dass dieser eine ganz besondere Bedeutung zukommt.

Hans Ulrich Glarner ist seit 2013 Vorsteher des Amts für Kultur des Kantons Bern. Zuvor war er Leiter der Abteilung Kultur des Kantons Aargau und des Stapferhauses Lenzburg.
"Für lange Zeit hatten die Bibliotheken ein Monopol zum Wissen. Sie besassen alle Bücher als Wissensspeicher und die Bibliotheksmitarbeitenden waren der Zugang zu diesem Wissensspeicher. Die Bibliotheken bildeten mit ihren Platten, Video-, Literatur und Kunstbänden auch den zentralen Zugang zu Musik oder Filmen, zur Kunst. Bibliotheken waren unbestritten DER Bildungs- und Kulturort.
 
Mit der Digitalisierung und der starken Erweiterung des Kulturangebotes hat sich dies grundlegend verändert. Das Wissensmonopol der Bücher und Bibliotheken ist gefallen. Heute suchen die Menschen zuerst auf Wikipedia oder bei Google Books bevor sie auf die Idee kommen, eine Bibliothek zu besuchen. Am 1. Januar 2016, 70 Jahre nach dem Tod von Anne Frank, soll das Tagebuch der Anne Frank vollständig auf dem Internet publiziert werden.
 
Bei den Kulturangeboten gibt es eine immer grössere Vielfalt, sei es zu Hause, sei es im Verein, sei es in den unterschiedlichsten Kulturinstitutionen. Sogar die Medien an sich sind in einem grossen Wandel. Was früher Papier, Vinyl, Celluloid und Magnetbänder waren, ist heute alles zu digitalen 0 und 1 geworden. Bibliotheken geben CD-Sammlungen auf, auch Filme werden bald nur noch gestreamt und die DVD kommt ins Museum zur Videokassette meiner Jugend. Auch beim Buch – einem Medium mit einer 1000jährigen Geschichte – findet eine Medientransformation statt. Ich kann heute Bücher digital ausleihen und auf meinem E-book-Reader lesen. Papier braucht es dazu keines mehr und auch keine Bibliothek, in welcher dieses papierene Werk steht.
 
Was ist in dieser Situation für die Bibliotheken zu tun? Eines ist klar: Sie können sich wie so viele andere Bereiche nicht auf ihrem ehemaligen Monopol ausruhen, sondern sie müssen sich aktiv und kreativ in dieser neuen Konkurrenz der Medien und der Kultur- und Bildungsinstitutionen behaupten.

Was ist im Falle einer Konkurrenzsituation zu tun? Als erstes braucht es eine SWOT-Analyse. Wir müssen wissen, was die Stärken und Schwächen, vor allem aber was die Chancen und Risiken von Bibliotheken in der heutigen und zukünftigen Zeit sind.
 
In einer digitalisierten Welt gilt es insbesondere diejenigen Chancen zu packen, bei welchen das digitale Netz nicht mithalten kann:
  • Es sind dies die persönliche Begegnung und Beratung. Wichtig ist hier die Vermittlung von Informationskompetenz.
  • Es ist dies sicherlich die Bildung von Medienkompetenz. Diese ist Voraussetzung, um sich im digitalen Meer überhaupt orientieren zu können.
  • Es geht grundsätzlich darum, den Zugang zum Lesen und zur Sprache zu fördern. Dies bedeutet Integration und Leseförderung.
Kurz: Die Bibliothek muss sich in erster Linie dem Menschen und nicht mehr den Medien zuwenden.
 
Wenn wir wollen, dass die Bibliotheken weiterhin ein zentraler Ort des Wissens bleiben, dann muss das Angebot dieser Entwicklung folgen. Die heutige Tagung steht unter dem Titel Vernetzung. Ich denke, dass dies ein zentraler Ansatz für die Zukunft der Bibliotheken ist.
 
Vernetzung verstehe ich in einem dreifachen Sinne:
  • Vernetzung mit den Menschen vor Ort
  • Vernetzung mit den digitalen Medien
  • Vernetzung unter den Bibliotheken
 
Für die Vernetzung mit den Menschen vor Ort müssen die Bibliotheken neue Gefässe und Veranstaltungen schaffen, mit denen sie die Bevölkerung, die Vereine, die verschiedenen Kulturinstitutionen mit der Bibliothek vernetzen. Die Bibliothek muss ein Ort der Begegnung, des Austausches werden. Ein Ort, der durch keinen «Download» ersetzt werden kann. Wir sprechen von einem «Dritten Ort» neben dem Arbeits- und Wohnort, der zum Verweilen einlädt. Dazu braucht es ein gutes Netz zu den potenziellen Nutzergruppen: Zu Schulleitungen, Migrationsvereinen, Seniorengruppen oder Eltern- und Familienberatungsstellen. Am besten gelingt die Vernetzung, wenn diese Zielgruppen auch bei der Gestaltung unserer Angebote mitwirken können. Veranstaltungen wie Lesungen, Lesenächte oder Schreib-Workshops fördern Interaktion und etablieren die Bibliothek neu als «Bildungs- und Kulturinstitution».
 
Die zweite Vernetzung findet im Netz statt. In der digitalen vernetzten Welt ergibt es weder Sinn noch ist es effizient, dass jede Bibliothek ihr eigenes Online-System auf die Beine stellt. Es braucht hier eine Vernetzung der Angebote. Mit gemeinsamen Lösungen können viel bessere und vielfältigere Angebote für die Benutzenden geschaffen werden. Und dies zu günstigeren Konditionen. Bei der Ausleihe von E-Books den Alleingang zu wählen, macht absolut keinen Sinn. Netzwerke sind hier klar der Zugang zum Erfolg.
 
Im deutschsprachigen Teil sind diese Bemühungen mit dibiBE schon weit fortgeschritten: Fast alle Regionalbibliotheken sind daran angeschlossen. Im französischsprachigen Kantonsteil gibt es hier noch Entwicklungspotential.
 
Aber auch in dieser digitalen Welt darf nicht vergessen werden: Das Kerngeschäft der Bibliotheksmitarbeitenden ist es, die Freude an Inhalten bei den Kundinnen und Kunden zu wecken. Dies gilt auch für den Zugang zu digitalen Medien.
 
Die dritte Vernetzung schliesslich findet zum Beispiel heute am Bibliothekstag statt. Denn damit die Vernetzung der Menschen oder der digitalen Medien erfolgreich erfolgen kann, braucht es eine Zusammenarbeit unter den Bibliotheken. Eine Vernetzung zum Erfahrungsaustausch über neue Gefässe und Veranstaltungen. Eine Vernetzung, damit die Online-Angebote zusammen koordiniert beschafft und betreut werden können. Ebenfalls im Bereich der Weiterbildung der Bibliotheksmitarbeitenden ist die Zusammenarbeit unabdingbar und bringt alle Beteiligten vorwärts. Voneinander lernen, Ressourcen bündeln, Synergien nutzen, Abläufe automatisieren und standardisieren. Alles mit dem Ziel mehr Zeit fürs Wesentliche zu haben: für die Menschen, welche die Bibliothek besuchen. Diese Vernetzung unter den Bibliotheken ist auch zentral für das Auftreten gegenüber den neuen Regionalkonferenzen oder gegenüber der Politik im Allgemeinen: Zusammen erhalten die Bibliotheken mehr Gewicht mit ihren Anliegen und Forderungen.
 
Diese Vernetzung und Zusammenarbeit sind ein wichtiger Teil der vor einem Jahr in Kraft getretenen Strategie für das Netz der Regionalbibliotheken. Ein wichtiges Projekt ist die Zusammenführung der Bibliotheken im Berner Jura.
 
Grundlage für alle Aufgaben der Bibliotheken bilden:
  • kompetente und engagierte Mitarbeitende,
  • ein abwechslungsreiches Medienangebot und
  • ein reiches Veranstaltungsangebot.
All dies habe ich bereits an vielen Orten im Kanton Bern angetroffen. Die Voraussetzungen für die Zukunft sind also gut, wenn wir die Vernetzung weiterspinnen. Ich ermutige Sie alle zur zielgerichteten und aktiven Zusammenarbeit und Vernetzung, damit die Bibliotheken auch ohne Monopol des Wissens weiterhin zentrale Bildungs- und Kulturorte bleiben." 
 
Ausschnitt aus dem Referat von Hans Ulrich Glarner, Vorsteher des Amts für Kultur des Kantons Bern 
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