Was macht Bibliotheken für Kinder und Jugendliche attraktiv?

19.02.2014 | Von Anne-Lise Hilty | Benutzung | Raum und Infrastruktur | Bibliothek und Integration| Zielpublikum Kinder und Jugendliche

Einige Kinder und Jugendliche verbringen Tage in der Bibliothek, andere meiden sie. Es sind viele verschiedene Faktoren, die zum einen oder andern Verhalten führen. Bibliotheken können darauf Einfluss nehmen, müssen aber investieren.

Von Anne-Lise Hilty
Anne-Lise Hilty ist verantwortlich für Kommunikation und Fundraising in der GGG Stadtbibliothek Basel. Nach dem Studium in Geschichte und Englisch war sie zuerst in der Informatik tätig, bevor sie sich dem Journalismus zuwandte. Vor dem Wechsel in die Bibliothek war sie zehn Jahre lang Chefredaktorin der VCS-Zeitung. In dieser Zeit erwarb sie berufsbegleitend das eidgenössische Diplom als PR-Beraterin.
Kinder und Jugendliche sind Meister im Entdecken von Freiräumen, von Orten, wo sie sich ungestört und ohne Konsumzwang aufhalten können. Wenn sie dort auch noch Spiele, Computer, Bücher und andere Medien vorfinden und sogar bei den Aufgaben unterstützt werden oder auf ein offenes Ohr für ihre Sorgen und Anliegen stossen, spricht sich das schnell herum. Bibliotheken können solche Orte sein.

Dennoch finden nicht alle Kinder den Weg in die Bibliothek von allein. Gute Kontakte zu Schulen, Kindergärten und verschiedenen Organisationen können den Weg dorthin für jene Kinder ebnen, deren Eltern diese Institutionen nicht nutzen und vielleicht nicht einmal kennen.
 
Die zweite Stube
Für viele Kinder im Matthäusquartier, einem der dichtest bevölkerten Stadtteile Basels mit einem Ausländeranteil von über 50 Prozent, ist die Bibliothek Bläsi eine Art zweite Stube. Einige kommen jeden Tag und verbringen jeweils mehrere Stunden hier. Sie machen gemeinsam Aufgaben, spielen, schauen Medien an oder plaudern. Sehr beliebt ist der günstige Getränke-Automat. Manchmal suchen sie den Kontakt zum Personal. «Mir ist es langweilig. Kann ich etwas helfen?» Wenn immer möglich, versucht das Personal, ihnen kleine Aufgaben zu geben und lässt sie etwa Bücher versorgen. Wenn der Andrang gross ist oder Tumult herrscht, geht das kaum mehr. Sehr wahrscheinlich können die meisten Bibliotheken ein Lied davon singen, wie schwierig oder sogar unmöglich es ist, die verschiedenen Bedürfnisse des Publikums unter einen Hut zu bringen. Da möchte jemand in Ruhe lesen, ein Kleinkind schreit, eine Person bittet um eine Auskunft, Jugendliche kreischen, andere drängeln am Computer. Selbst wenn das Personal die Nerven bewahrt, sind solche Situationen kaum zu meistern. Alle Benutzergruppen beanspruchen Raum, Zeit, Infrastruktur und wenn möglich mehr oder weniger intensive Betreuung in der Bibliothek.
 
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Jugendliche treffen sich in der Bibliothek zum Gamen
 
Tolles Angebot für Kinder
Für die jüngeren Kinder konnte die Stadtbibliothek Basel mit dem sogenannten Kinderliteratur-Bus ein sehr attraktives Leseförderungsprogramm aufbauen. Rund 500 Veranstaltungen für knapp 7'000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren es 2012. Die ganz Kleinen und ihre Eltern lernen beim Värslispiel in den Bibliotheken Verse, Fingerspiele und Lieder kennen.
 
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Värslispiel in der Bibliothek: Schon ganz kleine Kinder haben Bücher zum Fressen gern.

Im Sommer bringt der Bus Geschichtenteppiche, Bücher, Bastelmaterial sowie den von weitem sichtbaren Schirm in rund zehn Parks. Das niederschwellige Angebot wird von den Parkbesuchenden gerne genutzt. Die Kinder lernen alle möglichen Bücher und Geschichten kennen, die Eltern erhalten Tipps für die Sprach- und Leseförderung. Ergänzt wird das Programm des Kinderliteratur-Busses mit Bücherbanden – inzwischen sind es neun – dem Gschichtetaxi und Igels Gschichtelade sowie weiteren Aktionen an verschiedenen Orten in der Stadt.
 
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"Schirm-Scharm" in rund zehn Parks: Leseanimatorinnen präsentieren bei schönem Wetter Bücher, Geschichten und Bastelmaterial.

Dieses Programm ist aus der Leseförderung Kleinhüningen entstanden. In diesem Industriequartier im Nordwesten Basels war es nach der Schliessung der dortigen Bibliothek zu heftigen Protesten der Bevölkerung gekommen, worauf der Kanton Basel-Stadt sich gezwungen sah, die Leseförderungsstelle zu schaffen. Deren Aktivitäten wurden rege besucht, die Bücherbande etwa musste bald doppelt geführt werden. Besonders beliebt war diese bei einer Zielgruppe, die sonst nur schwer für Bücher zu gewinnen ist. In Kleinhüningen kamen und kommen mehrheitlich Buben – viele aus Familien mit Migrationshintergrund – am Mittwochnachmittag regelmässig und freiwillig in den Quartiertreffpunkt, um sich auch anhand von Büchern in ein Thema zu vertiefen und selber Geschichten zu erfinden. Die Bücherbanden-Kinder gehen etwa auf Weltraumreisen, bestehen zahlreiche Abenteuer, lernen nebenbei eine ganze Menge über unser Sonnensystem und halten ihre Erlebnisse und Beobachtungen in einem eigenen Buch fest.
 
Als die Leseförderung Kleinhüningen vor einer unsicheren Zukunft stand, entwarf die Stadtbibliothek den Kinderliteratur-Bus, ein Programm, das solche Veranstaltungen in alle Quartiere der Stadt bringen sollte. Das Projekt stiess auf so grosse Begeisterung, dass das baselstädtische Parlament es sofort guthiess und die Regierung bewog, den Kredit dafür zu sprechen.
 
Kein Platz für Jugendliche
Während die Kinder vom Kinderliteratur-Bus profitieren können, gibt es in vielen Quartieren der Stadt Basel – nicht nur im Matthäusquartier – zu wenig Angebote für Jugendliche im Alter zwischen 12 und 16 Jahren. Rar sind insbesondere Orte, wo sie sich aufhalten und Gleichaltrige treffen können, ohne konsumieren zu müssen. Vor allem in den kalten Wintermonaten weichen Jugendliche deshalb gern auch in die Bibliotheken aus. Viele suchen dort ihre «Stube», weil die Wohnverhältnisse zu Hause eng sind. Nicht selten aber geraten sie da in Konflikt mit den andern Nutzerinnen und Nutzern sowie mit dem Personal.
Die Stadtbibliotheken verfügen nicht über abgetrennte Räume, wo Jugendliche gelegentlich laut sein dürfen. Das Medienangebot, das ihren Bedürfnissen entspricht, ist begrenzt. Die Bibliotheksregeln provozieren bei ihnen Verstösse und gelten in ihren Augen ohnehin nicht für alle: Während ein Kleinkind schreien darf, werden sie für das gleiche «Vergehen» hinausgewiesen. Jugendliche ziehen sich deshalb von den Bibliotheken zurück – oder stellen sie auf den Kopf. Das Personal, das dafür sorgen soll, dass alle die Bibliothek nutzen können, steht vor unlösbaren Problemen und manchmal am Rand der Verzweiflung.
 
Integration statt Repression
Hausverbote und andere repressive Massnahmen sind nervenaufreibend für alle Beteiligten und letztlich keine Lösung, sondern höchstens eine Verlagerung des Problems. Die Stadtbibliothek hat sich für einen andern Weg entschieden: Integration statt Repression, Zuwendung statt Abgrenzung. Die Jugendlichen sollen in der Bibliothek jemanden mit einem offenen Ohr für ihre Anliegen finden und sich sowohl an der Gestaltung ihres Raumes als auch der Angebote beteiligen können. Regeln und Massnahmen, an die sie sich halten müssen, werden mit ihnen gemeinsam erarbeitet.
 
Erfolgreiches Pilotprojekt mit Jugendarbeiter
Im Rahmen eines Pilotprojektes engagierte die Stadtbibliothek für die Wintermonate 2012/2013 in Zusammenarbeit mit dem Verein für Jugendarbeit Basel einen Jugendarbeiter. In drei Bibliotheken war er während der Öffnungszeiten an festgelegten Tagen anwesend und suchte den Kontakt zu den Jugendlichen, die sich dort aufhielten. Schon nach kurzer Zeit erwies sich seine Arbeit als höchst erfolgreich. Die Bibliotheken hatten praktisch keine Probleme mehr mit Jugendlichen, während diese sich schon bald über die Anwesenheit des Jugendarbeiters freuten und von seinem Unterstützungsangebot profitierten. Dank einer Spende konnte dieses Projekt für vier Jahre gesichert werden.
 
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 Das Angebot des Jugendarbeiters ist offen: die Jugendlichen entscheiden, ob sie Hilfe bei ihren Recherchen wünschen, spielen oder einfach schwatzen wollen.

Was jedoch in allen Bibliotheken weiterhin fehlt, ist ein abgetrennter Raum für Jugendliche. Das wird in Basel erst nach dem Umbau der Bibliothek Schmiedenhof im Zentrum der Stadt möglich. Ab 2015 soll Jugendlichen dort ein eigener Raum mit einem modernen, altersgerechten Angebot zur Verfügung stehen.
 
Fazit: mehr Fläche, mehr Personal, mehr Infrastruktur
Bibliotheken können für alle Altersgruppen attraktiv sein – sofern diese dort ein ansprechendes Angebot vorfinden. Das aber kostet Geld: Es braucht Flächen, Medien, WLAN, Computer, sonstige Infrastruktur und Personal. Sind die nötigen Mittel nicht vorhanden, macht es keinen Sinn, zum Beispiel eine Kinderecke oder einen Jugendraum einrichten zu wollen. Wenn ein Sofa für Jugendliche eingeklemmt zwischen zwei Gestellen mit veralteten Medien steht, Games aus Prinzip oder Kostengründen nicht angeschafft werden und die Bibliothek schon um 17 Uhr schliesst, kann man sich auch das Sofa sparen. So lockt man keine Jugendlichen in die Bibliothek. In diesem Fall ist es wohl besser, man konzentriert sich auf eine Zielgruppe, zum Beispiel auf Familien.
 
Anne-Lise Hilty
GGG Stadtbibliothek Basel
 
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