Die gelassene Art sich durchzusetzen oder die Giraffensprache an der Ausleihtheke

02.10.2017 | Von Claude Christinat | Aus den Bibliotheken | Personal | Aus- und Weiterbildung| Kundenkommunikation| Kundenkontakt| Schwierige Kundensituationen | Stadtbibliothek Thun

Meist lassen sich schwierige Kundensituationen in der Bibliothek mittels gewaltfreier Kommunikation meistern.

Von Claude Christinat
Claude Christinat absolvierte zwischen 2003 und 2006 seine Ausbildung zum Informations- und Dokumentations-assistent in der Schweizerischen Nationalbibliothek und ist seither in der Stadtbibliothek Thun tätig. Täglicher Ausleihdienst und Kundenkontakt gehören zu den Schwerpunkten seiner Arbeit, welche auch die Hauptverantwortung für den Erwerb, die Ausrüstung und Reparatur der Medien sowie die Pflege der lokalhistorischen Thunensia-Sammlung einschliesst.
Im März dieses Jahres besuchte ich zusammen mit einer Arbeitskollegin den eintägigen Weiterbildungskurs Die gelassene Art sich durchzusetzen. Dieser nicht spezifisch auf den Bibliotheksbereich zugeschnittene Kurs wurde vom Personalamt der Stadt Thun angeboten und organisiert; als Stadtangestellte können die Mitarbeitenden der Stadtbibliothek jeweils individuell vom vielfältigen stadtinternen Weiterbildungsangebot Gebrauch machen. Durchgeführt wurde der Anlass von Jacqueline Steffen (Steffen Coaching, Erlenbach/Zürich), welche über langjährige Coach-Erfahrung mit entsprechenden Seminaren, sowohl in der Privatwirtschaft wie im öffentlichen Sektor, verfügt.
 
Meine Motivation für den Kursbesuch äusserte sich im Wunsch nach einer Standortbestimmung in Sachen Kommunikation bzw. der damit einhergehenden Reflexion des eigenen Verhaltens anhand aktueller Inputs, welche nach gewissen Intervallen immer wieder nützlich wie interessant sind; so diente der Kurs gewissermassen auch als «Refresher» oder Update für zwei 2008 und 2014 besuchte Kommunikations-Kurse mit ähnlichem Inhalt, zumal ja der Spannungsbogen zwischen einer zeitgemässen, kundenorientierten Dienstleistungskultur einerseits und dem Anspruch, die verbindlichen Richtlinien im Bibliotheksbetrieb trotzdem konsequent anzuwenden andererseits, immer virulent bleiben wird – eine abschliessende „Wahrheit“ lässt sich nicht ausmachen. An dieser Stelle muss jedoch gesagt werden, dass der Besuch solcher Kurse eine gewisse Prophylaxe für schwierige (Kunden-)Gespräche bilden kann – der Fundus an persönlichen Strategien der Gesprächsführung wird grösser, was dem Berufsalltag generell, auch der internen Kommunikation im Team, zugutekommen kann.
 
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Der Kurs drehte sich um die sogenannte «Giraffensprache», bzw. um das Konzept der gewaltfreien Kommunikation des bekannten US-Psychologen Marshall B. Rosenberg[i]. Vieles davon dürften manche – mehr oder minder fragmentiert – kennen. Ein zentraler Aspekt dabei ist sicherlich der möglichst vorurteilsfreie Start in die gemeinsame Kommunikation, wobei die Körpersprache und der Einsatz der Stimme bereits viel mehr beeinflussen als das eigentlich Gesprochene; folglich wurden auch diesen nonverbalen Aspekten im Kurs entsprechend Raum gelassen. Wer also, vereinfacht gesagt, nicht selbst gleich auf „stur schaltet“, wird sich ungleich seltener in die emotional negative und potentiell aggressive Gesprächsführung seines Gegenübers verheddern und umgekehrt durch Zuhören/Verständnis und durch Signalisierung zur Bereitschaft, im weiteren Gespräche eine konstruktive Lösung für beide Seiten suchen zu wollen, auf der emotionalen Ebene „punkten“, was durch das blosse Parieren eines verbales Angriffs mit Gegenvorwürfen und Rechtfertigungen etc. natürlich kaum funktioniert.
 
Wer seine eigenen Emotionen zurücknimmt und seinem Gegenüber – soweit dies möglich ist – auf der emotionalen Ebene Verständnis zeigt, kann dann auf der sachlichen Ebene letztlich gelassener argumentieren; z.B. durch die Zuhilfenahme der „ZDF“ (Zahlen, Daten, Fakten) – also auf Belegbarem, Unabänderlichem aufbauen, anstatt sich ins heikle Feld der Mutmassungen zu begeben und den Gesprächspartner womöglich mit dem Aufzählen von Versäumnissen à la „Sie haben sicher vergessen …“ zu belehren. Natürlich funktionieren solche Strategien nur, wenn sich das Gegenüber darauf einlassen kann und will; wer nur (noch) seinen Ärger am Bibliothekspersonal abreagiert, gar nicht ernsthaft an einer Lösung seines Problems interessiert ist, wird auch für gewaltfreie Kommunikation unerreichbar bleiben, in vielen Fällen aber bietet diese gewiss eine gute Basis für tragfähige Lösungen … durchaus im Sinne des Standpunktes der Bibliothek.
 
Somit kann ich den erhellenden Besuch eines solchen Kurses unserem Berufszweig allgemein empfehlen; es ist sicherlich nicht verkehrt, ab und an in diesen heute so zentralen Bereich der Bibliotheksarbeit einen vertieften wie zeitgemässen Einblick zu erlangen, bzw. anhand dessen eben auch das eigene Auftreten einmal kritisch zu hinterfragen und ggf. zu verbessern. Eine freundliche, kundenorientierte Kommunikation dürfte Bibliotheken die Chance bieten, im Rahmen Ihrer zunehmenden Rolle als „drittem Ort“, der zum Verweilen einlädt, endgültig die teilweise immer noch vorhandenen Berührungsängste und Vorurteile abzubauen, welche aus den Zeiten herrühren, als man in einer Bibliothek ausser ein- und ausatmen tatsächlich wenig tun durfte, bzw. die «Dos and Don'ts» auch schon mal entsprechend harsch kommuniziert wurden. So mag es wenig erstaunen, dass man auch heute noch ganz vereinzelt Bibliothekskunden antrifft, welche vorauseilend jedwede Lautäusserung tunlichst vermeiden, die gemessenen Schrittes durch die Regale geistern, um ja nicht die Aufmerksamkeit des womöglich gestrengen Personals oder gar dessen Tadel auf sich zu ziehen.
 
Natürlich soll dies in keiner Weise eine Aufforderung darstellen, allgemeine Regeln und die nötige Bestimmtheit im Bibliotheksbetrieb gleich munter über Bord zu kippen – mitnichten. Verschiedene Wege führen nach Rom und Patentrezepte gibt’s bekanntlich nirgends; so können auch nicht alle Beispiele aus dem – wie erwähnt nicht auf Bibliotheken zugeschnitten – Kurs eins zu eins in unsere Berufspraxis übernommen werden, denn was in der Kommunikation zwischen zwei in Konkurrenz stehenden Unternehmen der Privatwirtschaft an Direktheit noch angehen mag, erscheint mir persönlich im Umgang mit Kunden einer durch öffentliche Mittel finanzierten Institution nicht unbedingt angebracht – da muss mehr Fingerspitzengefühl an den Tag gelegt werden. Auch waren die oft positiven Auswirkungen einer Bedenkzeit, welche einer klugen, durchdachten Antwort vorausgeht, ein interessantes Thema am Kurs … welche sich im Mailverkehr wohl meist genommen werden kann, jedoch nicht unbedingt an der Ausleihtheke, wo ein Entscheidungsprozess in kurzer Zeit, im Angesicht eines wartenden und womöglich missgelaunten Kunden ablaufen muss.
 
Nichtsdestotrotz bleibt der Kursbesuch sicher in der „Gewinnzone“ zu verorten, etliches lässt sich im Alltag anwenden, auch einmal Versuchsweise; gerade die zitierten ZDF können eine echte Hilfe sein. Letzten Endes zählen aber nicht minder die Erfahrung und das natürliche Lernen aus schwierigen und gemeisterten Situationen – auf dem Weg zu mit „allen Wassern gewaschenen“ Bibliotheksmitarbeitenden werden wir nie ausgelernt haben, mit friedfertiger Giraffensprache aber dem Ziel gelassen eine gute Halslänge näher kommen.
 
Claude Christinat, Informations- und Dokumentationsassistent, Stadtbibliothek Thun
  
claude.christinat@thun.ch 
033 225 85 03
 
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[i] Anm. der Redaktion: Mit «Giraffensprache“ ist eine empathische Art der Kommunikation gemeint. Eine Kurzpräsentation der Gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg mit einer Erklärung des Begriffs «Giraffensprache» findet man z.B. auf pagewizz.com.  
 
 
 

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