Erzählcafés

19.03.2020 | Von Felicitas Isler & Birgit Libiszewski | Aus den Bibliotheken | Bibliotheksangebote | Bibliothek Münstergasse

Miteinander ins Gespräch kommen in der Bibliothek

Von Felicitas Isler & Birgit Libiszewski
Felicitas Isler war ursprünglich Primarlehrerin und ist seit 22 Jahren in Bibliotheken tätig. Nach der Ausbildung zur Bibliothekarin SAB bildete sie sich an der HTW Chur zur Informations-spezialistin weiter und von 2016 bis 2018 absolvierte sie an der Uni Freiburg das CAS «Lebens-erzählungen und Lebensgeschichten». 2019 besuchte sie beim Netzwerk Erzählcafé die Weiterbildung «Erzählcafés professionell moderieren». Sie arbeitet an der Bibliothek Münstergasse (UB Bern) im Team «Information & Schulungen». Birgit Libiszewski ist Informations-spezialistin. Sie arbeitete unter anderem in der Schweizerischen Nationalbibliothek und in der Stadtbibliothek Biel-Bienne. Seit März 2019 ist sie Mitglied des Teams Information & Schulung der Bibliothek Münstergasse sowie Dienststellenleiterin Lesesäle.
Samstagmorgen, 9.30 Uhr, in der Bibliothek Münstergasse in der Berner Altstadt. Sechs Personen sind im Kursraum zusammengekommen, um sich über die Frage «Wie wohne ich in Bern?» zu unterhalten. Die Teilnehmenden sitzen im Kreis auf bequemen Sesseln und Stühlen. In der Mitte steht ein Tisch mit einem Blumenstrauss.


Die Moderatorin begrüsst die Anwesenden und erklärt die Gesprächsregeln. Anschliessend lädt sie die Teilnehmenden ein, sich zunächst zu zweit über das Thema des heutigen Erzählcafés auszutauschen.

Ein Erzählcafé besteht aus einer moderierten Gesprächsrunde von ca. einer Stunde Dauer und einem anschliessenden offenen Austausch bei Kaffee, Tee und Gebäck. Insgesamt dauert die Veranstaltung ca. 90 Minuten.
 

Im geschützten Rahmen treffen Personen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft aufeinander, die sich sonst vielleicht nie begegnen würden. Die Teilnehmenden setzten sich mit der eigenen Lebensgeschichte auseinander, indem sie sich über ein vorgegebenes Thema unterhalten. Denn jeder Mensch hat etwas zu erzählen, auch wenn ihm seine Erlebnisse unspektakulär und alltäglich erscheinen. Das Zuhören ist genauso wichtig wie das Erzählen. Denn es bereichert und fördert die Toleranz gegenüber anderen Menschen.

Damit der Austausch gelingt, gibt es im Erzählcafé einige Gesprächsregeln und eine Moderation. Zentral ist, dass persönliche Erfahrungen und Geschichten nicht bewertet werden, weil sie weder richtig noch falsch sind. Darüber hinaus ist niemand gezwungen, etwas von sich preiszugeben. Es ist möglich, den Berichten der anderen Teilnehmenden zuzuhören, ohne selber etwas zu erzählen.
 


 

Die Bibliothek Münstergasse führt Erzählcafés seit September 2019 einmal monatlich am Samstagmorgen durch. Bisher fanden sechs Erzählcafés statt. Initiiert hat das Angebot eine Mitarbeiterin des Teams Information & Schulung (I&S). Felicitas Isler lernte das Format «Erzählcafé» im Rahmen des CAS «Lebenserzählungen und Lebensgeschichten» der Universität Fribourg kennen. Später absolvierte sie eine Ausbildung zur Moderatorin beim «Netzwerk Erzählcafé», das auch hilfreiche Unterlagen zur Planung und Durchführung von Erzählcafés zur Verfügung stellt. Unterstützt wird sie von Birgit Libiszewski, einer weiteren Angehörigen des Teams I&S.

Erzählcafés lassen sich in einer Bibliothek mit wenig Aufwand realisieren. Benötigt wird ein Raum sowie gute Ideen für Gesprächsthemen. Die Themen sollten möglichst viele Personen ansprechen. In der Bibliothek Münstergasse wurde bisher z.B. über «Wie nutze ich das Internet?», «Was lese ich am liebsten?» oder «Wie wohne ich in Bern?», gesprochen.

Für die Moderation werden zu jedem Thema einige Leitfragen vorbereitet. Die Fragen beziehen sich jeweils auf einzelne Aspekte des Themas, z.B. Gewohnheiten (Sind Sie eher «sesshaft» oder ziehen Sie immer wieder mal um?), Beziehungen (Wohnen Sie zusammen mit Familienangehörigen, alleine oder in einer WG?) oder Werte (Bedeutet Ihr Zuhause für Sie Heimat?). Die Fragen zeigen, dass alltägliche Themen viele Facetten haben, über die sich ein Austausch lohnt.
 
Das Angebot «Erzählcafé» in der Bibliothek Münstergasse etabliert sich je länger desto mehr. Kamen zunächst 3 bis 4 Teilnehmende, sind es inzwischen 5 bis 7 Personen pro Anlass. Es gibt «Stammkundinnen», die die Erzählcafés regelmässig besuchen. Die Mehrzahl der Teilnehmenden sind Frauen. Einige Themen haben aber auch Männer angesprochen. Die meisten der Teilnehmenden sind pensioniert oder alleinstehend. Das Angebot spricht Menschen an, die neu nach Bern gezogen sind. Auffallend viele der Teilnehmenden sind keine gebürtigen Schweizer/innen.
 
Das Erzählcafé «Wie lebe ich in Bern?» verläuft angeregt und überraschend. Eine ca. 70-jährige Teilnehmerin berichtet, dass sie in einer Genossenschaft mitten in der Altstadt von Bern lebt. Dort gibt es eine grosse Gemeinschaftsküche, eine Gemeinschaftswerkstatt sowie ein Gästezimmer, das von allen Genossenschaftern genutzt werden kann. Eine andere Besucherin erzählt, dass sie mit knapp 40 Jahren das Zusammenleben in einer WG ausprobiert. Eine dritte Frau lebt seit 75 Jahren in ihrem Geburtshaus. Nach einer Stunde beendet die Moderatorin den «offiziellen» Teil und die Gespräche werden bei Kaffee, Tee und Güezi weitergeführt. Einige der Teilnehmenden nutzen die Möglichkeit, anonym Rückmeldungen zu geben und Themenvorschläge für zukünftige Erzählcafés zu machen. Und eine «Stammkundin» verabschiedet sich mit: «Bis zum nächsten Mal».

Felicitas Isler und Birgit Libiszewski
Bibliothek Münstergasse Bern

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