Kann oder soll man/frau für Bibliotheken Bürgerproteste organisieren oder gar Volksinitiativen starten? Vor dieser Frage standen Stiftungsrat und Bibliothekarinnen der Gemeindebibliothek Herzogenbuchsee im Jahre 2014. Damals nämlich kündigte die Gemeinde der Bibliothek die Räume im geschichtsträchtigen Kornhaus im Dorfzentrum. Der Bau aus dem Jahr 1583, eines der schönsten noch erhaltenen Kornhäuser der Schweiz, hatte im zweiten Obergeschoss ein perfektes Ambiente für die Bibliothek geboten: 15’000 Medien inmitten spätmittelalterlicher Balkenkonstruktionen, eine Aussicht direkt ins Grüne des Dorfparks und dank Lift und behindertengerechter Toilette im Parterre des Kornhauses auch infrastrukturmässig auf dem neuesten Stand.
Vom Lebensmittel- zum Kleiderladen
Aber die Gemeinde benötigte die Räume neu für Büros ihrer – wie überall – gewachsenen Sozialabteilung. Also sollte die Bibliothek weichen. Das ging allerdings nicht ohne Widerstände ab. Die Bibliothekskundinnen und Kunden liebten die Räume – und alles andere – im Herzen des oberaargauischen Industriedorfes mit rund 7'000 Einwohnern. Von Bleibe-Anträgen an die Gemeindeversammlung über eine Volksinitiative bis zu zivilem Widerstand wurde alles diskutiert und auch alles verworfen, denn der Stiftungsrat befand, dass es bei einem grösseren Konflikt zwischen Bibliothek und Gemeinde nur Verlierer geben könne. Also machten sich die vier Frauen und die zwei Männer des strategischen Leitgremiums auf die Suche nach einem neuen geeigneten Lokal.
Das liess sich erst einmal ziemlich gut an, denn weniger als hundert Meter vom Kornhaus entfernt stand eine ehemalige Denner-Filiale seit längerem leer. Die Parterre-Situation, ein wunderbares Schaufenster, genügend Raum und ein massvoller Mietpreis stimmten optimistisch. Der Gemeinderat sprach 225'000 Franken für den Umzug, für die Renovation des ehemaligen Dennerladens und für die RFID-Einrichtung. Nur mit dem Vermieter begann es aus bis heute unerfindlichen Gründen nach kurzer Zeit zu hapern. Etwa weil die Bibliothek Teile ihrer Fläche an die Ludothek mit ein bisschen Kinderlärm abtreten wollte? Als jedenfalls massive Bedenken aufkamen wegen angeblich überbordender Velo-Parkierung (von Autos war nicht die Rede) und die Lärmimmissionen (!) der Biblere beklagt wurden, war nach einem halben Jahr Planung klar, dass die Denner-Filiale nun keine Option für Buchsis Bücherparadies mehr war.
Die Gemeinde musste schliesslich zur Kenntnis nehmen, dass geeignete Biblere-Standorte auch in einem grösseren Dorf nicht vom Himmel fallen und den Mietvertrag im Kornhaus stillschweigend zwei Mal verlängern. Dann aber tat sich mit der massiven Schrumpfung der Blackout-Kleiderladenkette eine faszinierende Möglichkeit auf: ein Bibliotheks-Standort am Rössliplatz, mitten im Dorf, dreihundert Meter vom Bahnhof und gut hundert von der Migros weg, ein historisches Gebäude mit grosszügigen Platzverhältnissen. Die berühmte Fabrikantenfamilie Moser, die auch legendäre Bahningenieure, Nationalräte und Bankiers hervorgebracht hatte, hatte an dieser repräsentativen Stelle im Dorf 1795 einen Wohnstock im Spätbarockstil erbaut. Als Amelie Moser als junge Witwe nach dem Tod ihres Mannes aus Java in die Heimat zurückkehrte, zog sie in diesen Wohnstock. Von dort aus organisierte sie in der Folge das ganze Feuerwerk an Sozialeinrichtungen, die den Ort vor allem in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts als Pionierdorf für praktische Frauenemanzipation berühmt machten, inklusive exklusiver Bibliothek im «Kreuz». Als Amelie Moser 1925 starb, kam das Haus in den Besitz des Frauenvereins, den Amelie 1870 gegründet hatte. 1930 erweiterte man den Wohnstock in ähnlichem Stil dort, wo vorher die Pferdestallungen waren, um ein Geschäftshaus, bei dem die meisten Einheimischen kaum ahnen, dass es 135 Jahre jünger als Amelies Wohnhaus ist.
Bis zum Einzug der Bibliothek beherbergte das Geschäftshaus, das mittlerweile in Privatbesitz ist, mehrere Kleiderläden, mit Nähatelier im zweiten Obergeschoss, Räumen fürs Unterwäsche-Probieren im Untergeschoss und zwei grossen Verkaufsgeschossen dazwischen. Mit dem Segen der Gemeinde zog die Biblere im Herbst 2016 trotz beträchtlicher Mietkosten (46'000 CHF pro Jahr) in den ehemaligen Kleiderladen im Moser-Haus.