«Wir sind davon überzeugt, dass es eine Perspektivenumkehr braucht.»

27.09.2022 | Von Markus Jost | Personal | Organisation | Inklusive Bibliothek

Der Verein Sensability hilft Arbeitgebern sich für Menschen mit Behinderung fit zu machen, sodass alle profitieren können. Sensability hat schon Kurse für die Mediathek Wallis Brig, die Stadtbibliotheken von Biel und Uster durchgeführt und beim Aufbau des Netzwerks für eine inklusive Kultur in der Ostschweiz, bei welchem auch Bibliotheken beteiligt sind, mitgearbeitet. Im Gespräch erklärt der Co-Präsident von Sensability, Brian McGowan, die Philosophie und die Dienstleistungen des Vereins.

Von Markus Jost
Brian McGowan, geboren 1979, studierte Geschichte und Politikwissenschaften an der Universität Zürich und sitzt aufgrund einer Muskelerkrankung im Rollstuhl. Nach seiner Tätigkeit für den Bund (Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen EBGB) leitete er das Gleichstellungsbüro für Menschen mit Behinderungen der Stadt Bern. Zurzeit ist er Co-Präsident und Projektleiter von Sensability und Diversity-Beauftragter an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW. Seine Schwerpunkte sind die Geschichte und Theorie von Behinderungen, Theorien zu Diversität und Inklusion, Disability Studies, die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und deren Umsetzung sowie das Themenfeld Diversität und Hochschulstrukturen.
Warum und seit wann bietet Sensability Weiterbildungen zum Thema «inklusiver Arbeitsmarkt» an?

Seit 2021 bietet Sensability Praxisseminare zum Thema «inklusiver Arbeitsmarkt» an. Die Bemühungen um die berufliche Eingliederung von Menschen mit Behinderungen hat in der Vergangenheit vor allem bei den Angestellten angesetzt - man hat also versucht, die Menschen mit Behinderungen für den Arbeitsmarkt fit zu machen. Wir sind davon überzeugt, dass es eine Perspektivenumkehr braucht: Unsere Angebote konzentrieren sich nicht mehr nur auf das Individuum, sondern wir nehmen das Arbeitsumfeld mit in den Fokus. Es geht also darum, Arbeitgebende fit zu machen, sodass Strukturen angeboten werden können, welche die Bedürfnisse von allen Menschen berücksichtigen. Wenn ein Unternehmen über inklusive Arbeitsstrukturen verfügt, profitieren davon nicht nur Arbeitnehmende mit Behinderungen, sondern die ganze Belegschaft wie auch das Unternehmen selbst.
 
Wie unterscheiden sich die Sensability-Kurse von anderen Weiterbildungen im Bereich «Inklusion»?

Unsere spezifische Perspektive ist es, dass wir behinderungsübergreifend Kurse und Weiterbildungen anbieten, welche sich einerseits an den Inhalten der UN-Behindertenrechtskonvention orientieren und andererseits von Menschen mit Behinderungen entwickelt und durchgeführt werden.
 
Wie sind Ihre Kurse aufgebaut?

Grundsätzlich orientieren sich unsere Kurse an den Bedürfnissen unserer Kundschaft, d. h. wir erheben den konkreten Bedarf eines Unternehmens, der öffentlichen Verwaltung oder von Dienstleistungserbringern und unterstützen diese bei der Umsetzung der mitunter gemeinsam gesteckten Ziele. Über theoretische und praktische Inhalte, welche auf der direkten Begegnung von Menschen mit und ohne Behinderungen aufbauen, wollen wir dazu befähigen, inklusive Angebote und Strukturen entwickeln zu können – beispielsweise durch konkrete Handlungsempfehlungen, welche im Betrieb zur Anwendung gelangen.
 
Bieten Sie Ihre Weiterbildungen auch für Bibliotheken an? Falls ja, welche Bibliotheken haben bereits an Kursen teilgenommen und welche Erfahrungen haben Sie mit Bibliotheken gemacht?

Ja, Sensability bietet auch Kurse und Weiterbildungen für Bibliotheken an. Als Beispiel seien hier die Bibliotheken der ETH genannt. Unsere Erfahrungen waren sehr positiv: In der gemeinsamen Auseinandersetzung mit der täglichen Arbeit und in den eigenen Strukturen der Bibliothek vor Ort konnten neue Wege erarbeitet werden, wie sowohl in baulicher, technischer als auch betrieblicher Hinsicht die Chancengleichheit aller Bibliotheksnutzer und Bibliotheksnutzerinnen erhöht werden kann.
 
Die Schweiz hat die UN-Behindertenrechtskonvention 2014 unterzeichnet. Was hat sich seither im Bereich «inklusiver Arbeitsmarkt» verändert? Gehen die Arbeitgeber – speziell die Bibliotheken – sensibler mit diesem Thema um?

Sowohl vor als auch nach der Unterzeichnung der UNO-Behindertenrechtskonvention hat man sich in der Schweiz wiederholt mit der beruflichen Eingliederung von Menschen mit Behinderungen auseinandergesetzt – die Bemühungen haben sich jedoch wie gesagt vor allem auf die individuelle Unterstützung der Angestellten konzentriert. Das Bewusstsein von Arbeitsgebenden wächst jedoch, dass eine nachhaltige Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen im 1. Arbeitsmarkt nur dann zu erreichen ist, wenn sowohl auf individueller Ebene als auch auf struktureller Ebene Fortschritte erzielt werden. Dies zeigt sich auch daran, dass das eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung die Entwicklung unserer Praxisseminare grosszügig unterstützt hat, und diese nun schweizweit angeboten werden können.

Was die Bibliotheken betrifft: Die Zahl der Studierenden mit Behinderungen an Schweizer Hochschulen wächst stetig und damit auch die Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen dieser Personengruppe. Indem man die Lebensrealitäten von Menschen mit Behinderungen mehr und mehr kennenlernt, wächst auch die Sensibilität an Bibliotheken – Sensability freut sich, Bibliotheken auf dem Weg hin zur hindernisfreien, inklusiven Bibliothek zu unterstützen.

Mehr Infos unter: Sensability-inklusiver Arbeitsmarkt>
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