Kundenkontakte im Bibliotheksalltag

20.10.2017 | Von Oliver Wenger | Aus den Bibliotheken | Personal | Kundenkontakt | Stadtbibliothek Thun

Erlebnisse eines neuen Teammitglieds

Von Oliver Wenger
Oliver Wenger studierte Englische Literaturwissenschaft und Geschichte und konnte während seiner anschliessenden Berufstätigkeit Einblicke nehmen in kundenorientierte Branchen wie Tourismus und Verkauf. 2017 war er für ein halbes Jahr in der Stadtbibliothek Thun tätig.
Während einem halben Jahr unterstützte ich vertretungshalber das Team der Stadtbibliothek Thun. Während dieser Zeit war ich zuständig für die Fachgebiete Philosophie, Psychologie, Botanik, Sport, Sprachlehrmittel, Geografie, Biografien sowie Kinder- und Erwachsenenhörbücher. Daneben wurde ich auch an der Ausleihe eingesetzt. Durch meine früheren Tätigkeiten im Dienstleistungssektor sensibilisiert, setzte ich mich während meiner Zeit an der Stadtbibliothek Thun vertieft mit dem Thema Kundenkontakt auseinander. Hier einige tagebuchartig notierte Erlebnisse und Gedanken:
 
Freitag 12. Mai 2017:
Oft kommt es vor, dass Kunden bei der Rückgabe eines Buches ins Schwärmen geraten und den Titel weiterempfehlen. Die Freude springt oft über und es ist äusserst interessant und bereichernd, sich mit den Kunden über das Gelesene auszutauschen, ihnen weiterführende Lesetipps zu geben allenfalls noch bei der weiteren Literaturrecherche behilflich zu sein.
 
Mittwoch 14. Juni 2017:
Ein zwölfjähriger Junge ist bei uns Stammkunde. Er kommt mehrmals in der Woche alleine vorbei, um seine Favoriten unter den Jugendbüchern abzuholen oder zurückzubringen. Dieses Mal hatte er standardmässig zwei Bände aus der Reihe Gregs Tagebuch, mehrere Asterix & Obelix und Lucky Luke Comics und sowie einige Jugendsachbücher ausgeliehen. Als letztes Buch legte er eine Neuerscheinung zum beliebten Computerspiel Minecraft auf die Ausleihtheke: Herobrines Rache - Ein Abenteuer für Minecrafter. Während ich das Buch in unser System einlas, fragte ich den Jungen, ob Bücher zu Minecraft denn interessant seien. Nachdem er kurz Luft geholt hatte, entgegnete er mir: „Ich kann ihnen alle Bücher zum Thema Minecraft sehr empfehlen. Dieses hier ist bereits das zweite Herobrine-Buch. Beide sind sehr spannend und auch gut geschrieben, finde ich. Am spannendsten sind aber die Bücher, welche Mods und andere Einstellungsmöglichkeiten erklären, die sollten sie mal lesen. Spielen Sie auch Minecraft? Wenn ja, dann stellen sie einmal zu Beginn den Modus auf „überleben“ und nicht auf „kreativ“, das ist viel spannender, weil man da auch noch Gegner bekämpfen und ums Überleben kämpfen muss. Wenn sie Minecraft nicht kennen, sollten sie sich das Spiel unbedingt besorgen!“ Die Euphorie dieses Kunden ist kaum zu übertreffen, seine Neugier lässt ihm keine Ruhe und er wird uns bestimmt als Stammkunde erhalten bleiben. Schön zu sehen, dass die Bibliothek ein Ort ist, an dem sich junge Menschen informieren, unterhalten und bilden, dazu noch mit so grosser Freude wie mein neuer (heimlicher) Lieblingskunde. 
 
Samstag 29. Juli 2017:
Bald feiern wir am 1. August unseren Nationalfeiertag. Da der Feiertag dieses Jahr auf einen Dienstag fällt, bleibt die Bibliothek bis Mittwoch geschlossen. Aus eigener Initiative habe ich mir eine kleine Aktion ausgedacht, welche die Kunden positiv überraschen soll: Auf dickem, pergamentähnlichem Papier haben wir verschiedene Zitate aus Friedrich Schillers Wilhelm Tell abgedruckt und dann das Papier in dünne Streifen geschnitten. So entstanden lange Papierstreifen, welche sich gut als Buchzeichen verwenden lassen.
 

 
Die Streifen haben wir an der Ausleihe aufgelegt und die Kunden dazu ermuntert, sich zu bedienen. Das Ziel dieser Aktion war primär, die Kunden zu überraschen und Ihnen einen Literaturklassiker etwas näher zu bringen, der thematisch zum Nationalfeiertag passte. Ähnliche Aktionen liessen sich im Verlauf des Jahres im Vorfeld von anderen Feiertagen realisieren (z.B. Ostern, Weihnachten etc.), aber auch zu anderen speziellen Anlässen, wie z.B. zum 500-jährigen Jubiläum von Luthers Thesenanschlag in Wittenberg.
 
  
Das Gros der Kunden reagierte sehr erfreut auf die Zitat-Aktion. Die meisten von ihnen empfanden die Zitate als Inspiration und Bereicherung und zeigten sich überrascht darüber, dass ihnen die Bibliothek etwas kostenlos zur Verfügung stellt. In Erinnerung geblieben ist mir allerdings auch die negative Rückmeldung einer Kundin. Als ich ihr anbot, sie dürfe sich gerne ein Zitat zum 1. August nehmen, kam postwendend die energisch vorgebrachte Antwort, sie fände, dass man den Nationalfeiertag nicht feiern solle. Sie habe nichts, aber auch gar nichts mit Heimatliebe am Hut. Ihre Antwort kam so prompt, dass ich nicht ausreden konnte. Vielleicht hätte die Kundin anders entschieden, wenn ich ihr hätte erklären können, dass es sich um Schiller-Zitate handelte. So schliesse ich diesen Tagebucheintrag mit einer von Schillers zeitlosen Weisheiten:
 
"Es kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt."
Aus Friedrich Schillers Wilhelm Tell (1804), 4. Aufzug, 3. Szene, Tell.

Freitag 25. August 2017:
Vor einigen Wochen hat eine ältere Kundin sich verschiedene Romane, zwei Krimis, einen Liebesroman und das Buch Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten von J.L. Carr ausgeliehen. Im Verlauf des Kundengesprächs habe ich der Dame beiläufig viel Vergnügen bei der Lektüre von J.L. Carrs Roman gewünscht. Heute kam die Kundin wieder in die Bibliothek, um die erwähnten Bücher zu retournieren. Mit einem warmen Lachen hat sie mich begrüsst und sogleich ein Loblied auf die Steeple Sinderby Wanderers angestimmt. Das Buch habe sie zum Lachen gebracht, wie es nur selten ein Text schaffe, und sie habe sich bei der Lektüre, trotz des ihr wenig zugänglichen Themas Fussball, bestens unterhalten. Dass die Kundin ihrer Freude auch Ausdruck gegeben hat, empfand ich als sehr bereichernd und aufbauend.

Dienstag, 15. August 2017:
Heute war viel Betrieb in der Bibliothek: Zahlreiche Kunden wollten nach den Sommerferien ihre Medien zurückgeben und neuen Lesestoff holen. Unglücklicherweise kam es auch gleichzeitig zu zwei Neueinschreibungen. Zu Zeiten, wo in der Bibliothek viel läuft, ist das ein Knackpunkt, denn wenn gleichzeitig zwei Neueinschreibungen gemacht werden müssen, sind gerade beide Ausleiheschalter für circa fünf bis zehn Minuten besetzt. Es steht zwar eine Person auf Abruf zur Unterstützung des Ausleihteams bereit, obwohl diese dritte Person zu Hilfe kam, wurde die Warteschlange der Kunden jedoch immer länger. Dass wartende Kunden ungeduldig werden, passiert leider oft, ist aber durchaus nachvollziehbar, denn anstatt Leselust erleben Sie Wartefrust. Neueinschreibungen sind ein wichtiger Faktor für eine Bibliothek, trotzdem finde ich es schade, wenn langjährige, treue Kunden wegen Neuanmeldungen lange anstehen müssen. Daher frage ich mich, ob es nicht eine Möglichkeit gibt, die „Blockade“, die durch zwei gleichzeitige Neueinschreibungen entsteht, zu umgehen. Eine Möglichkeit wäre vielleicht, bei einer Neueinschreibung die dritte Person dazu zu holen und die Anmeldung abseits der Ausleihe ausfüllen zu lassen. Oder vielleicht könnte man eine Onlineeinschreibung anbieten. Das würde die Warteschlangen sicher massiv kürzen und zu einem positiven Bibliotheksbild beitragen.
 
Häufige Feedbacks:
Oft erhalte ich von Kunden Rückmeldungen zur Bibliothek. Unsere Bibliothek wird dabei auffallend oft gelobt. Immer wieder höre ich Sätze wie:
 
  • „Die Stadtbibliothek Thun ist eine sehr gute Bibliothek, ich komme sehr gerne hierher.“
  • „Die Stadtbibliothek Thun hat sensationelle Bücher, die getroffene Auswahl gefällt mir sehr!“
  • „Die Bibliotheksräume sind sehr schön eingerichtet, ich fühle mich darin sehr wohl.“
  • „Die Stadtbibliothek ist meine kleine, geheime Oase der Ruhe. Hier komme ich hin, wenn ich mich abseits der Hektik der Stadt und des Alltags erholen will. Hier kann ich in ferne und mir fremde Welten eintauchen und ich kann mich zudem in den Zeitungen über die Tagesaktualitäten informieren. Was will man mehr?“

Donnerstag 24. August 2017:
Eine Mutter besuchte uns mit ihrem siebenjährigen Sohn. Nach einer Weile wandte sie sich an die Ausleihe mit der Bitte, ihr bei der Literatursuche behilflich zu sein. Nach zehn Minuten hatten wir bereits einen beachtlichen Stapel an Geschichten für ihren Sohn zusammengestellt. Eigentlich, dachte ich, die Kundin sei soweit zufrieden. Als ich sie fragte, ob ich ihr noch weiter behilflich sein könne, erklärte sie mir, sie sei vor einem Jahr aus Peking in die Schweiz gezogen, und stellte einen direkten, hinkenden Vergleich an zwischen der Stadtbibliothek Thun und der chinesischen Nationalbibliothek in Peking. „Ihre Bibliothek ist sehr klein, in China sind die Bibliotheken viel grösser. Das ist nicht gut. Das ist gar nicht gut“, meinte sie und fuhr fort: „Und in China gibt es eine viel bessere Auswahl an Kinder- und Jugendbüchern als hier. Was lesen denn die Kinder hier? Gibt es keine Bücher, welche den Kindern die Wissenschaft auf spielerische Weise näherbringen? Es kann doch nicht sein, dass die Kinder nur Geschichten lesen sollen.“ Nachdem ich der Kundin und ihrem Sohn weitere Literaturtipps gegeben hatte, ging sie schliesslich doch noch glücklich nach Hause. Mag sein, dass die Bibliotheken in China grösser sind. Es beruhigt mich aber zu wissen, dass unsere Bibliotheken keiner Zensur unterliegen, dass das Werk von Marx zwar in Peking und in Thun in den Regalen steht, dass man bei uns aber auch die wundervolle Geschichte von Alice im Wunderland von Lewis Caroll finden kann, die man in der pekinesischen Bibliothek wohl vergebens suchen würde…
 
Oliver Wenger

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