14 Personen nahmen 2011 durchschnittlich an einem der 12 Wikipedia-Workshops der Zentralbibliothek teil - ein sehr befriedigendes Resultat, wenn man bedenkt, dass die Kurse ohne Anmeldung und ohne besondere Werbeaktionen stattfinden. Andere vergleichbare Angebote der Bibliothek müssen oft mit weniger als 10 Personen auskommen.
Warum hat der Workshop so einen Erfolg? Wie haben sich Inhalt und Form entwickelt, und wie sieht die Zukunft aus?
2008 wurden ZB und Wikipedia breit in den Medien erwähnt. Die Nachricht, dass die ehrwürdige, solide Institution Zentralbibliothek sich in einem rasch ändernden, qualitativ umstrittenen, aber höchst erfolgreichen und "modernen" Projekt wie Wikipedia engagieren würde, bot Stoff für Geschichten. Dabei lag aus ZB-Sicht die Verbindung auf der Hand: Lexika und Enzyklopädien gehörten schon immer zu den Kernangeboten und wichtigsten Kompetenzen der Bibliotheken, und ging man als Bibliothekar im Beratungsgespräch früher zu Brockhaus und Britannica, so hatte sich schon spätestens seit 2006 Wikipedia als Nachschlagewerk Nummer 1 etabliert. Wenn alle bei Wikipedia suchen, dann sollte die ZB sie nicht daran hindern – sondern im Gegenteil ihre lange Erfahrung beim Suchen, Finden und Beurteilen von Informationsquellen einbringen, um Tipps und Tricks zum klugen Umgang mit der Gratisenzyklopädie zu liefern. In diese Richtung ging unsere Überlegung, und das daraus erwachsende Kursangebot wurde sogleich bestens angenommen. Offenbar nutzten (fast) alle Wikipedia, aber oft war ein gewisses Unbehagen zu spüren - Wer hat's geschrieben? Kann wirklich jede und jeder hineinschreiben? Wie kann ich sicher sein, dass heute und auch morgen noch stimmt, was dort geschrieben steht? Wer finanziert die Sache eigentlich? Und was ist mit den berüchtigten Einflussnahmen?
Die erste Version unseres Workshops wollte diese Fragen umfassend beantworten und war denn auch recht frontal aufgebaut – die ZB-Referentin trug vor, demonstrierte, die Teilnehmenden folgten, so gut es ging. Von Beginn an fand die Veranstaltung im Computerraum der Bibliothek statt, wo bis zu 24 Personen ein eigener PC zur Verfügung steht. Im zweiten Teil des Workshops konnten dann auch die Teilnehmenden selber recherchieren und versuchen, vorgegebene Fragen zu beantworten – beispielsweise, seit wann es einen deutschsprachigen Artikel zu Edith Piaf bei Wikipedia gibt, und wer dort die letzte Änderung gemacht hat. Die Frage "Wie wird man Autorin, Autor bei Wikipedia?" hingegen liessen wir von Anfang an explizit aussen vor – der Workshop war mit 90 Minuten ohnehin schon intensiv und dicht bepackt, und die Frage führte zu weit weg von den oben genannten zentralen Fragestellungen.
Feedbacks zu den Veranstaltungen gab es zu Beginn nur informelle. Seit 2010 geschieht dies strukturierter, mit Fragebogen, die den Teilnehmenden zur Verfügung gestellt werden. Dabei schneiden die Wikipedia-Workshops vergleichsweise sehr gut ab: Inhalt, Struktur und Form des Workshops sowie Kompetenz und Freundlichkeit der Referent/innen werden stets sehr hoch bewertet. Nur bei der Beurteilung der Interaktivität gab es zu Beginn gewisse Abstriche, und mitunter wurde die Stoffmenge als zu gross bewertet. Wir reagierten darauf mit Anpassungen in Inhalt und Form. Zum einen fokussieren wir seither noch stärker auf den Aspekt der Qualitätsbeurteilung. Anhand eines meist der Aktualität verpflichteten Artikels – Topthemen aus Politik und Wirtschaft, Jubiläen und Todesfälle berühmter Persönlichkeiten liefern immer genügend Stoff – zeigen wir die Versionsgeschichte eines Artikels mit den letzten Änderungen, den mitwirkenden Autorinnen und Autoren und den Einträgen "bis an den Anfang der Wikipedia-Zeiten". Dazu kommen ein Blick auf die Diskussionsseiten und ein Verweis auf die anderen Sprachversionen des Artikels. Ein Hinweis auf ausgezeichnete und gesperrte Artikel (internationale Politiker wie Obama oder Putin sind hierfür bestens geeignet) kann sich noch anschliessen. Damit kann man die wichtigsten Features und den Hintergrund von Wikipedia direkt "am Objekt" beleuchten und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aktiv einbeziehen.
Dieser erste Teil dauert, je nach Aktivität der Gruppe, etwa 30 bis 40 Minuten. Im zweiten Teil sind die Teilnehmenden aufgerufen, Wikipedia-Artikel aufgrund der vorher erarbeiteten Kenntnisse zu begutachten und zu beurteilen. Hierzu listen wir einige wenige gute und weniger gelungene Artikel auf, die wir an die Gruppenteilnehmer/innen verteilen. Alternativ kann man die Teilnehmer/innen auch den Wikipedia-Artikel zu ihrer Heimatgemeinde oder Wohngemeinde beurteilen lassen – das ist für alle möglich und interessant. Dieser Übungsteil dauert in der Regel um die 15 Minuten. Danach werden die Resultate gemeinsam besprochen, und der Referent oder die Referentin ergänzt und kommentiert. Dies verlangt von den Referierenden natürlich solide Wikipedia-Kenntnisse und eine gewisse Flexibilität, die aber nach einigen Durchführungen problemlos erreicht ist. Nach 60 bis 70 Minuten ist die Veranstaltung "offiziell" zu Ende, aber häufig ergeben sich mit einzelnen Teilnehmer/innen noch interessante weiterführende Gespräche.
Wer besucht diese Workshops? Sie sind für alle offen und verlangen keine "Vorkenntnisse". Sehr gut besucht wird der Kurs von Seniorinnen und Senioren mit stetig steigenden Computerkenntnissen. Dazu kommt ein bunter Mix aus dem "Stadt- und Kantonsbibliothekspublikum" der ZB sowie einige Studierende und Angehörige der Universität. Diese sind allerdings, gemessen an ihrem Anteil an der sonstigen ZB-Nutzung, deutlich untervertreten, ebenso die Schülerinnen und Schüler. Wir haben daher begonnen, für diese beiden Zielgruppen separate Kurse anzubieten. Bereits drei Mal fand ein Workshop für Universitätsangehörige statt, der neben den Qualitätsaspekten vor allem der Plagiatsproblematik und der Wissenschaftlichkeit gewidmet und formal eher als Diskussionsrunde konzipiert war. Schülerinnen und Schüler erfahren mehr über Wikipedia im Rahmen der Maturanden-Recherchekurse oder, auf Wunsch, werden spezielle Workshops für einzelne Klassen angeboten. Die Nachfrage ist steigend.
Die Geschichte der Wikipedia-Workshops der ZB beweist, dass ein gutes "Produkt", das den Nerv der Zeit trifft und bei dem die Bibliothek kompetent auftritt, grossen Erfolg haben kann. Wichtig ist die kontinuierliche Anpassung von Form und Inhalt an die Kundenbedürfnisse sowie eine passgenaue Ausdifferenzierung auf verschiedene Zielgruppen, sofern das Interesse bzw. die Teilnehmerzahl dies ermöglicht.
Oliver Thiele
oliver.thiele@zb.uzh.ch