«Ich habe beruflich die Seite gewechselt»

22.11.2023 | Von Markus Jost | Aus den Bibliotheken | Kornhausbibliothek Bern

Seit rund 500 Tagen haben die Kornhausbibliotheken Bern einen neuen Direktor. Dani Landolf erzählt im Gespräch über seine Erfahrungen in der für ihn bis anhin fremden Welt der Bibliotheken, Open Library, Fusionsprojekte, Finanzen und die Last der Urheberrechtsabgabe.

Von Markus Jost
Dani Landolf (geb. 1968) ist im Thurgau aufgewachsen. Nach der Ausbildung am Lehrerseminar Kreuzlingen während einem Jahr als Primarlehrer in Herisau (AR) tätig, danach Studium in Bern mit Abschluss in Geschichte, Soziologie und Medienwissenschaft. Anschliessend gut zehn Jahre in verschiedenen Ressorts und Funktionen journalistisch tätig, u.a. bei der Zeitung «Der Bund» als Journalist, Produzent, Redaktionsleiter des Kulturmagazins «Berner Woche» und zuletzt stv. Chefredaktor. Von 2007 bis Ende 2019 Geschäftsführer des Schweizer Buchhändler-und Verleger-Verbands SBVV. Von 2020 bis 2022 Leitung der Solothurner Literaturtage, seit Sommer 2022 Direktor der Kornhausbibliotheken Bern. (Foto: zvg, LA)
Dani Landolf, seit August 2022 sind Sie Direktor der Berner Kornhausbibliotheken. Das ist Ihre erste Tätigkeit in einer Bibliothek. Wie gefällt Ihnen die Welt der Bibliotheken?
 
Ausgezeichnet! – Ich bin von meinem Team sehr offen und herzlich aufgenommen worden und bei allen Bibliotheken, bei denen ich angeklopft habe, um zu sehen und hören, wie andere funktionieren, wurden mir die Türen weit geöffnet. Und je tiefer ich in diese vielfältige Welt der Bibliotheken eintauche, umso mehr wird mir bewusst, was wir als Institutionen alles leisten und wie wichtig wir für die Gesellschaft sind. Das erfüllt mich mit grosser Befriedigung und macht viel Freude!
 
Anfangs 2023 bezeichneten Sie den 1. Februar, den Tag an dem das Pilotprojekt «BiblioPlus», das Open Library Angebot der Kornhausbibliotheken, startete, als einen Ihrer wichtigsten Termine im Jahr 2023. Wie läuft «BiblioPlus» heute, am Ende des Jahres?
 
Wichtigster Termin, na ja – es war für mich einfach wichtig, dass wir das Projekt, über das im Haus schon sehr lange geredet worden ist, endlich umsetzen. Ich weiss aus Erfahrung, dass sich bei solch grossen Kisten nicht alles bis ins letzte Detail planen und voraussehen lässt; deshalb lieber mal anfangen und ausprobieren. Es hat dann ja auch ganz wunderbar geklappt. Das Angebot stösst rundum auf positive Reaktionen, wird immer mehr genutzt und hatte auch eine tolle Signalwirkung über den Kreis der Bibliotheksbesucherinnen und -besucher hinaus. Es haben mich Leute aus meinem Bekanntenkreis darauf angesprochen, die noch nie einen Fuss in eine unserer Bibliotheken gesetzt haben. Wir führen «BiblioPlus» definitiv weiter, öffnen künftig auch am Sonntag und lassen auch Kinder unter 16 Jahren zu. In der Länggasse wie auch in Münchenbuchsee ist das schon umgesetzt, im Haupthaus möchten wir noch die Jugendbibliothek öffnen und lancieren die 365-Tage-Bibliothek, sobald die notwendigen baulichen Massnahmen abgeschlossen sind. Ich hoffe, noch in diesem Jahr.
 
Die Kornhausbibliotheken konnten in den vergangenen Jahren zahlreiche Gemeindebibliotheken in der Region Bern in ihren Verbund aufnehmen. Im Jahr 2023 stiess die «Bibliothek Wohlen mit Ludothek» dazu. Gibt es weitere Bibliotheken, die in nächster Zeit dazu kommen werden? Und: Warum gelingt es den Kornhausbibliotheken, sich ausserhalb der Stadt Bern weiterzuentwickeln, während alle bisherigen Fusionsversuche der Stadt Bern mit Gemeinden im Umland scheiterten?
 
Ich denke, der Hauptunterschied zum politisch auf der ganzen Linie gescheiterten jüngsten Fusionsversuch der Stadt Bern mit umliegenden Gemeinden – den ich persönlich sehr bedaure – liegt darin, dass bei uns die Initiative von den Aussengemeinden ausgeht. Nicht wir sind auf Wohlen zugegangen, sondern Wohlen ist auf uns zugekommen. Ähnlich ist es auch im Fall von Köniz, wo wir wieder im Gespräch sind über eine Zusammenarbeit. Kommt dazu: Eine Kooperation unter dem Dach der Kornhausbibliotheken bringt der Bevölkerung einen klar sichtbaren Nutzen zu vergleichbaren Preisen: Ein grösseres Angebot und mehr Serviceleistung (u.a., dass Medien überall zurückgegeben werden können). – Gleichzeitig stellen wir fest: So, wie wir aktuell aufgestellt sind, können wir nicht beliebig weiterwachsen. Sollten neue Gemeinden zu unserem Verbund stossen, müssen wir dringend unsere Organisationsstruktur anschauen und Anpassungen vornehmen.
 
Ihr Vorgänger, Felix Hüppi, wechselte nach drei Jahren bei den Kornhausbibliotheken nach Zürich und übernahm die Leitung der Pestalozzi-Bibliotheken. Er bezeichnete im Interview mit BiblioBE seinen Stellenwechsel als eine Chance, weil die PBZ deutlich besser finanziert seien und sich dadurch ein viel grösserer Gestaltungsraum auftue. Wie steht es um die Finanzen der Kornhausbibliotheken? Ermöglichen sie genügend Entwicklungsmöglichkeiten oder muss in Zukunft mit Angebotsabbau gerechnet werden?
 
Es stimmt, dass die PBZ in vielen Bereichen eine Nummer grösser ist als die Kornhausbibliotheken. Mir jedoch reicht das als Neueinsteiger alleweil. Und über Abbau müssen wir zum Glück nicht reden, finanziell sind wir solide aufgestellt: Durch die kürzlich wieder verabschiedeten Leistungsverträge mit Stadt, Kanton und Regionsgemeinden haben wir eine mittelfristige Sicherheit, was die Grundfinanzierung unseres Angebots angeht. Ich finde das in wirtschaftlich angespannten Zeiten nicht selbstverständlich und bin unseren Partnern sehr dankbar für die Unterstützung. – Aber wohlverstanden: Die Beiträge reichen für die Grundfinanzierung. Um die Kornhausbibliotheken weiterzuentwickeln, was absolut notwendig ist, müssen wir aktiv werden. Wir haben dafür drei Hebel: Mehr Eigenmittel zu generieren (was sich aber mit der Niederschwelligkeit unseres Angebots beisst), mehr Drittmittel aufzutreiben (bspw. für neue Projekte, wo ich noch Potenzial sehe) und vor allem intern zu schauen, wo wir Mittel allenfalls anders einsetzen können. Wir sind beispielsweise eine der letzten grossen Bibliotheksverbünde der Schweiz, die die gesamte Aufarbeitung und Katalogisierung noch im eigenen Haus machen – notabene auf teuren Mietflächen im Zentrum der Stadt. Es geht also künftig darum zu schauen, wie wir die vorhandenen Ressourcen einsetzen, um unser Angebot zeitgemäss ausrichten zu können.
 
Von 2007 bis 2019 waren Sie Geschäftsführer des Schweizer Buchhandels- und Verlags-Verband SBVV. In dieser Funktion waren Sie auch Mitglied der Arbeitsgruppe zur Revision des Urheberrechts. Die 2020 eingeführte Urheberrechtsabgabe für Bibliotheken wird in den nächsten Jahren für viele öffentliche Bibliotheken im Kanton Bern zu einer Last werden. Wie beurteilten Sie damals die Einführung der Urheberrechtsabgabe für Bibliotheken und wie sehen Sie die Urheberrechtsabgabe heute als Direktor der grössten öffentlichen Bibliothek des Kantons Bern?
 
Ui, ein heikles Thema! – Zumal ich jetzt, wie Sie richtig feststellen, beruflich die Seite gewechselt habe, von den Begünstigten einer solchen Abgabe zu denjenigen, die zahlen müssen. Und ja, die Beträge sind kein Pappenstiel. Trotzdem bin ich ein überzeugter Verfechter der Urheberrechte: Erst die Garantie auf Schutz geistigen Eigentums und die Entschädigung für die kollektive Nutzung ermöglicht ein professionelles, qualitativ hochstehendes Kulturangebot, von dem wir als Bibliotheken ja auch wieder profitieren.
 
Als Konsequenz daraus finde ich es im Grundsatz völlig in Ordnung, dass auch Bibliotheken eine Abgabe zahlen müssen. Immer wieder neu auszuhandeln ist jedoch, wie hoch diese Beiträge sind, und wer diese übernimmt. Da läuft die Diskussion mit dem Kanton erst an, der die im «Grundtarif 5» (GT5) festgelegten Abgaben seit deren Einführung 2019 bezahlt, kürzlich aber angekündigt hat, diese ab 2027 einzustellen. Die Bibliotheken im Kanton Bern können diese Beträge nicht einfach mir nichts, dir nichts selber stemmen. Allein bei den Kornhausbibliotheken geht es da um einige zehntausend Franken. Ich finde, es ist Bestandteil einer gesamtheitlichen Kultur- und Bildungspolitik, diese Beträge weiterhin zu übernehmen. So, wie es heute beispielweise Standard ist, dass bei den Förderleistungen die soziale Sicherheit von Künstlerinnen und Künstlern mitgedacht wird.
 
Ende Oktober feierten die Kornhausbibliotheken im kleinen Kreis ihr 25-jähriges Bestehen. 1998 zog die ehemalige Berner Volksbücherei aus dem Monbijou-Quartier ins neu renovierte Kornhaus im Zentrum der Stadt. Gleichzeitig wurde die Stiftung Kornhausbibliotheken gegründet. Das waren zwei wichtige Meilensteine in der Geschichte der Bibliothek. Welche wichtigen Meilensteine setzen sich die Kornhausbibliotheken für die Zukunft?
 
Ich habe es erwähnt: Eine der zentralen Aufgaben wird es sein, unsere Organisation so aufzustellen, dass wir Ressourcen freispielen können, um all das zu machen, was moderne Bibliotheken neben der klassischen Bibliotheksarbeit heute auch tun sollten: Hilfestellungen in der Digitalisierung, Veranstaltungen, grössere Leseförderprojekte, Kooperationen mit der Jugend- und Quartierarbeit, bessere Kommunikation, Fundraising, … dazu fehlen uns im Haus im Moment sowohl die Strukturen, die Expertise als auch die personellen Kapazitäten. Diese Transformation zusammen mit den Mitarbeitenden gut hinzubekommen ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Parallel dazu kommt der geplante Umbau des Kornhauses sowie die Erneuerung unseres Bibliotheksnetzes, inklusive dem Nachdenken über neue Bibliotheks-Formate (Vorbild Generationenhaus, Biblio-Bus, etc.).

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