Einrichtungsfragen und Raumkonzepte in kleinen Bibliotheken

19.02.2014 | Von Marie-Ann Arnold | Benutzung | Raum und Infrastruktur | Aus der Praxis - für die Praxis| Bibliothek als Ort| Einrichtung| Kundenorientierung

Wie man mit einfachen Mitteln die Raumatmosphäre verbessert und trotz Platznot attraktive Räume und klare Bereiche gestaltet

Von Marie-Ann Arnold
Marie-Ann Arnold absolvierte eine Ausbildung zur Bibliothekarin und war über 40 Jahre in diversen öffentlichen Bibliotheken und Schulbibliotheken tätig. Von 2004 bis Ende 2012 war sie die Bibliotheksbeauftragte des Kantons Zürich und erhielt in dieser Funktion Einblick in eine grosse Zahl von kleinen und mittleren Gemeindebibliotheken.
In kleinen Gemeindebibliotheken stammt die Bibliothekseinrichtung oft aus den 70er Jahren, als viele neue Bibliotheken entstanden und man diese noch für die Ewigkeit plante und einrichtete. Inzwischen haben sich die Bedürfnisse der Kundschaft verändert und Bibliotheken sind nicht mehr reine Ausleihstellen mit einem möglichst grossen Medienangebot. Bibliotheken in kleinen Gemeinden sind häufig die einzigen Orte, wo man sich ohne Konsumationszwang treffen kann und wo etwas ausserhalb von Familie, Arbeit oder Schule passiert.
 
Seit einigen Jahren zeichnen sich gesellschaftliche Trends ab, die von den Bibliotheken eine ganz andere Aufenthaltsqualität fordern. Menschen haben mehr Freizeit und eine zunehmende Vereinsamung des Individuums zeichnet sich ab. Internet wird oft verwendet für Tätigkeiten, die bisher im öffentlichen Raum stattgefunden haben (z.B. Einkauf, Unterhaltung). Drei Trends, die den Bibliotheken die Chance eröffnen, sich als Treffpunkt und Begegnungsort in der Gemeinde zu positionieren.
 
Damit dieser Wandel gelingt, brauchen die Bibliotheksverantwortlichen Mut und kreatives Denken.
 
Beim Planen gilt es, folgenden Punkten Beachtung zu schenken:
  • Fehlender Sinn für Ästhetik
  • Betriebsblindheit
  • Platzmangel - zu grosse Medienbestände
  • Klare Bereiche für die verschiedenen Nutzergruppen
  • Arbeits- und Sitzplätze
  • Uneinheitliche Möblierung
  • Beschriftung
  • Falsche Bescheidenheit
  
Fehlende Ästhetik
Die Bibliothek als Begegnungsort stellt höhere Ansprüche an die ästhetische und funktionale Konzeption. Bibliotheken sollen stimulieren und Orte der Identifikation sein. Der Architekt Rolf Ramcke, der viele Bibliotheken in Deutschland eingerichtet hat, fordert mehr Mut bei der Gestaltung von Bibliotheken und fasst seine Eindrücke bei der Zusammenarbeit mit Bibliothekaren und Bibliothekarinnen zusammen: „Bibliothekare und Bibliothekarinnen denken im Wesentlichen an ihre Arbeit, an die Bücher, an die Medien, an eine effiziente Betriebsweise – aber sie denken sehr wenig daran, wie sie auf ihre Kunden wirken. Das ist ein grundsätzlicher Fehler. Die Darstellung, die Wirkung auf den Menschen ist entscheidend für die Herstellung und Strukturierung eines öffentlichen Raums.“ 
 
Regale_zu_hoch_in_niedrigem_Raum.jpg
Hohe Regale in niedrigen Räumen sollten vermieden werden.
 
Betriebsblindheit
Als ersten Schritt zur Veränderung gilt es, die eigene Betriebsblindheit zu überwinden. Vielleicht hilft es, eine externe Beratungsperson beizuziehen. Das kann eine kritische Person aus dem persönlichen Umfeld sein oder ein neues Teammitglied.
 
Das eigene Konsumverhaltens lässt sich auch auf den Bibliotheksbetrieb übertragen. Bibliotheken sind durchaus vergleichbar mit Einkaufsgeschäften. Sicher lohnt es sich, den Ideenreichtum des ganzen Teams zu nutzen. Neue oder jüngere Mitarbeiterinnen bringen meistens neue Ideen.
 
Wichtig ist es Details zu beachten, z.B. Beschriftungen, die sich ablösen, Aufbewahrungsboxen, die wild zusammengewürfelt in Regalen oder sogar auf dem Boden herumstehen oder Unordnung auf und hinter der Theke oder in anderen Bereichen der Bibliothek:
 
Zeitschriften_Kaffee-Ecke_unordentlich.jpg
Hier sorgen offene Regale für "Unruhe".

Meist hilft ganz gewöhnliches Aufräumen! Ein besonderes Augenmerk verdienen auch die Ausstellflächen und Regale, die oft überladen werden.
 
Platzmangel / zu grosse Medienbestände
Die meisten kleinen Bibliotheken leiden unter Platzmangel. Da hilft nur, den Bestand an die Fläche anzupassen und zu überlegen, welche Bestände wirklich von der Kundschaft genutzt werden.
 
Ueberladene_Regale.jpg
 Hier wäre weniger eindeutig mehr...
 
Dazu braucht es auch grundsätzliche Überlegungen bzw. ein Bibliothekskonzept. Wie setzt sich die Kundschaft zusammen, welche Nutzergruppen kann und will die Bibliothek ansprechen (Familienbibliothek, Schulbibliothek, Treffpunkt, Veranstaltungsort)?
 
Veraltete und schlecht genutzte Medien müssen rigoros aus dem Bestand entfernt werden. Hier lohnt es sich, die Überprüfung des Bestands an Personen zu delegieren, die die Medien nicht selbst eingekauft haben. Es ist einfacher, sich von Medien zu trennen, zu denen man keine emotionale Bindung hat.
 
Klare Bereiche für die anzusprechenden Zielgruppen
Auch in kleinen Bibliotheken braucht es klare Bereiche für die verschiedenen Altersgruppen und die verschiedenen Tätigkeiten. Da kleine Gemeindebibliotheken meist Kinder- und Familienbibliotheken sind, sollen die Kinder den schönsten und grössten Platz in der Bibliothek erhalten.
 
Der Kinderbereich mit Bilderbüchern und Sachbüchern für die Kleinsten und Lesefutter und Sachbüchern für die Unterstufenschüler wird möglichst in der Nähe der Erwachsenen-Belletristik platziert, damit Eltern und kleinere Kinder ihre Medien in benachbarten Bereichen finden. Kinder brauchen viel Platz und kindgerechtes Mobiliar. Das bedeutet, dass die Regale nicht höher als 1.50 m sein dürfen, mit einer Griffhöhe von 1.20 m.
 
Der Bereich für die Jugendlichen mit Belletristik und Comics sollte möglichst klar getrennt von den Bilderbüchern und vor allem entfernt von der Theke platziert sein. Jugendliche fühlen sich nicht gerne beobachtet. Es ist auch eine Überlegung wert, ob es überhaupt Medien für ältere Jugendliche (ab Oberstufe) braucht, da diese oft in grösseren Gemeinden in die Schule gehen und gar nicht mehr als Kundschaft zu erreichen sind.
 
Der Sachbuchbereich für Erwachsene und Jugendliche kann als verbindende Zone, zwischen den Bereichen eingerichtet werden.
 
Als Zwischenbereich eignet sich auch die Nonbooks-Abteilung, da diese Medien alle Altersgruppen ansprechen.
 
Arbeits- und Sitzplätze – Aufenthaltszonen
Je nach Bereich braucht es unterschiedliche Arbeits- und Sitzplätze. Wenn die Kundschaft in der Bibliothek verweilen soll, sind bequeme Sitzplätze zwischen oder in der Nähe von Belletristik-Regalen unerlässlich:
 
Sofa_gut_platziert.jpg
Dieser Bereich lädt zum gemütlichen Schmökern ein.

Bei den Sachbuchbeständen braucht es Arbeitsplätze mit Tischflächen, ganz besonders, wenn die Bibliothek auch als Schulbibliothek funktionieren soll. Allerdings dürfen diese nicht als Abstell- oder Ausstellungsflächen genutzt werden wie auf dem folgenden Bild:
 
Arbeitsplatze_belegt.jpg
Hier werden die Arbeitsplötze als Ausstellflächen missbraucht.
 
Arbeitsstationen mit schnellem Internetzugang und/oder WLAN im ganzen Bibliotheksraum sind heute für das Arbeiten mit Schulklassen zwingend.
 
In der Kinderecke sind nach wie vor Sitzstufen eine gut funktionierende Möblierung, oder es eignen sich mobile Sitzgelegenheiten, die nach Bedarf platziert werden können. Achtung: Auch Sitzstufen sollen nicht mit Medien belegt werden.
 
Eine Kaffee-Ecke in der Nähe der Zeitschriften macht nur Sinn, wenn genügend Platz vorhanden ist und die Öffnungszeiten der Bibliothek grosszügig sind. In einem Durchgangsbereich gelegen und eingeklemmt zwischen Regalen hat man sicher wenig Lust zu lange zu verweilen.
 
Kaffee_Ecke_zu_eng.jpg Zeitschriften_Kaffee_grosszugig.jpg
Wo würden Sie lieber eine Kaffeepause einlegen?
 
Die Bibliothek als Veranstaltungsort erfordert flexibles Mobiliar, das einen schnellen „Umbau“ ermöglicht oder einen angrenzenden Raum für Veranstaltungen. Regale können auch nachträglich durch örtliche Handwerker mit Rollen bestückt werden.
 
Uneinheitlichkeit der Möblierung
In vielen Bibliotheken wird zu wenig auf die Einheitlichkeit der Möblierung geachtet. Oft wird ein ursprünglich gut durchdachtes Möblierungskonzept durch nachträgliche Anschaffungen verschandelt:
 

Auch uneinheitliche Möblierung lässt den Raum unruhig wirken.

Zusätzlich angeschaffte Regale und Präsentationsmöbel beeinflussen die gesamte Wirkung des Raumes stark. Es lohnt sich deshalb, diese Möbel sorgfältig auszuwählen und darauf zu achten, dass sie zur übrigen Einrichtung passen.
 
Falls das ursprünglich gewählte Regalprogramm nicht mehr lieferbar ist, muss darauf geachtet werden, dass wenigstens pro Zone das gleiche Regalsystem eingesetzt wird. Bei der Präsentation von Nonbooks empfiehlt es sich, eher Regaleinsätze im üblichen Regalsystem anzuschaffen, anstelle von frei stehenden Medientrögen. Diese Einsätze können leichter wieder für Printmedien umfunktioniert werden, falls der Umsatz von Nonbooks in den nächsten Jahren einbricht.
 
 
Beschriftung
Kleine Bibliotheken brauchen kein ausgeklügeltes Leitsystem aber eine klare, saubere und einheitliche Beschriftung der Bereiche, der Regale und der Themen auf den Tablaren. Neukunden oder Neukundinnen möchten sich selbstständig zurechtfinden.
 
Die Beschriftung spielt aber auch ausserhalb der Bibliothek eine wichtige Rolle, damit man die Bibliothek im Ort überhaupt findet.
 
Falsche Bescheidenheit
Abschliessend möchte ich als ehemalige Beraterin von Bibliotheken alle Leitungspersonen ermuntern, die oft beobachtete falsche Bescheidenheit abzulegen und den verantwortlichen Rechtsträgern klar aufzuzeigen, was eine moderne, gut organisierte Bibliothek leisten kann und welchen Mehrwert sie für eine Gemeinde darstellt.
 
Ein beständiges Anpassen des Bibliotheksbetriebs an die sich wandelnden Bedürfnisse soll wie bei den übrigen Betrieben der Gemeinde (z.B. Schule oder Altersheim) eine Selbstverständlichkeit werden. Haben Sie den Mut, die Bibliothek als Begegnungsort neu zu positionieren und fordern Sie dafür die notwendigen finanziellen Mittel.
 
Marie-Ann Arnold
Ehemalige Bibliotheksbeauftragte Kanton Zürich

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